Die Verwaltung zur Beteiligung befähigen

Wie können Beschäftigte der Kommunalverwaltungen mit den Herausforderungen durch Beteiligunsverfahren umgehen? Neben individueller Weiterbildung braucht es einen Kulturwandel im Verwaltungsbetrieb.

Verwaltungsinnovation durch Beteiligung?

Bürger/innenbeteiligung bei Stadtentwicklung, Energiewende und vielem mehr steht seit einigen Jahren hoch im Kurs. Und dennoch sind Bürger/innenanhörungen, Zukunftskonferenzen und Planungszellen keine neuen Phänomene, denn es gibt sie spätestens seit den 70er Jahren. Doch warum ist das Thema heute so präsent in Tagespresse und auf Werbeflächen? Warum starten so viele Städte regelrechte Beteiligungskampagnen?

Ein Teil der Antwort lautet: Zum einen klagen Bürger/innen Mitsprache immer mehr ein, zum anderen brauchen Politik und Verwaltung diese Einflüsse aus der Stadtgesellschaft – sei es zur Gestaltung wachsender urbaner Zentren oder aber zur Legitimation des eigenen Verwaltungshandelns.

Deregulierung und Privatisierung haben dazu beigetragen, dass sich Kommunen zunehmend als „Dienstleistungsunternehmen“ begreifen sollen (Dröge & Magnin 2010) und ihre Strukturen entsprechend neu ausrichten. Die klassisch-bürokratische Tradition der Verfahrenssteuerung mittels formal-rechtlich gesatzter Ordnungen und mittels rechtlich regulierter Beteiligungsmöglichkeiten (vgl. Luhmann 1983) verliert an Bedeutung zugunsten neuer Formen informaler, marktförmiger „Verfahrensprivatisierung“ (Schuppert 2005: 14). Einerseits kann die Initiierung von Bürger/innenbeteiligung als Versuch von Verwaltungsorganisationen interpretiert werden, neue Aufgaben zu lösen, veränderten Erwartungen zu entsprechen und auf Protest oder Kritik an diesen Entwicklungen zu reagieren. Andererseits nutzen Kommunal-Verwaltungen Bürger/innenbeteiligungsprozesse teilweise aber auch explizit, um sich selbst zu erneuern (Roth 1998, 1999, Walther 2013).

Allein diese Zielvermengung und das unklare Zweck-Mittel-Verhältnis von Innovation und Partizipation – also eine Verwaltung die beteiligungsorientiert ist, weil sie innovativ sein will und zugleich eine Verwaltung die als innovativ gelten möchte, weil sie beteiligt – wäre schon eine eigene sozialwissenschaftliche Analyse wert (Brunsson 1989, Schwarz 2016). Doch im Moment erscheinen in der alltäglichen Verwaltungspraxis Sozialwissenschaften vor allem auf den Plan gerufen, das Personal dahingehend zu qualifizieren, dass es den partizipativen Ansprüchen einigermaßen Genüge leisten kann.

Deswegen analysiert der vorliegende Beitrag zwei beispielhafte Bürgerbeteiligungsprozesse dahingehend, welche Bedeutung sie perspektivisch für die Qualifizierung einer veränderten Arbeitsweise in der kommunalen Verwaltung haben.

Zwei Beteiligungsvorhaben unter der Lupe: Stadtdialog und Werkstadt

Anhand zweier städtischer Bürger/innenbeteiligungsversuche, Hannover und Potsdam, kann ein Eindruck gewonnen werden, vor welche Herausforderungen sowohl Qualifikationsprofile als auch Verwaltungsstrukturen gestellt sind. Die beiden Stadtbeispiele bilden keinerlei Grundlage zur Hypothesenprüfung oder Verallgemeinerbarkeit, sondern haben eher illustrativen Charakter. Sie dienen lediglich dazu, das Thema Qualifikation zur Bürger/innenbeteiligung zur Diskussion zu stellen.

1. Der Stadtdialog "Mein Hannover 20130"

Das erste Beteiligungsbeispiel aus Hannover erstreckte sich über einen 3-jährigen Prozess in dem durch externe sowie interne Beteiligung (Stadtgesellschaft und Verwaltungsbeschäftigte) ein Stadtentwicklungskonzept erstellt wurde. Dieses wurde per Ratsbeschluss im Juni 2016 beschlossen und nun soll nicht nur das Konzept umgesetzt werden mit seinen Referenzprojekten zum Themen wie Arbeit, Wohnen, Bildung, Inklusion u.v.m., sondern auch die Beteiligungsstrukturen sollen verstetigt werden.

Die Evaluation dieses für Hannover bisher einzigartigen Beteiligungsprozesses erfolgte im Januar 2016 ebenfalls partizipativ: in einer Großgruppen-Konferenz konnten die vier Dialogpartner (Politik, Verwaltung, Bürger/innen, externe Veranstalter/innen) subjektiv bewerten, wie sie dieses Experiment empfunden haben und was sie sich für dessen Verstetigung wünschen. Von den vielen Aspekten, die dabei zu Tage traten, geben die folgenden ausgewählten Punkte vor allem Hinweise darauf, wie sich Verwaltungshandeln verändern müsste, um Bürger/innenbeteiligungen zu ermöglichen.

Begrüßt wurde von allen Beteiligten, dass man diesen Beteiligungsprozess überhaupt gewagt hatte und welche enorme Vielfalt an Themen und Methoden man sich hatte einfallen lassen. Auch die Qualität der Veranstaltungen und der Dialog auf Augenhöhe sowie das fachübergreifende Zusammenarbeiten fanden großen Anklang.

Bemängelt wurde, dass die Öffentlichkeitsarbeit und der parallel angebotene Online-Dialog noch nicht ausgereift genug wären. Dadurch wären auch die in über 100 Veranstaltungen erbrachten Ergebnisse undurchsichtig und teilweise falsch dokumentiert worden. Kritisch bilanziert wurden sowohl der enorme Zeitaufwand für die Dialogveranstaltung und die Suche der Ergebnisse als auch die mangelnde Heterogenität der Teilnehmenden. Häufig kämen zu oft die gleichen Personen, wobei vor allem junge Menschen fehlten sowie Personen mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten.

Als (Qualifikations-)Anforderungen an „die Verwaltung“ wurden vor allem die folgenden Punkte herausgehoben: Das fachübergreifende Arbeiten in Projekten müsse besser gefördert, eingeübt und vor allem auch von den Führungskräften gestattet werden.

Beteiligungsprozesse müssten zudem stärker dezentralisiert werden in dem Sinne, dass das Wissen in den Stadtbezirken miteinbezogen wird und nicht stets von der Zentralverwaltung Beteiligungsprozesse initiiert werden. Neben dem fachübergreifenden und dezentralisierten Arbeiten wurde des Weiteren gefordert, zielgruppenspezifischer an die Bürger/innen herantreten zu können. Um die Beteiligungskultur zu verstetigen, werden nun künftig alle Verwaltungsbereiche sogenannte „Arbeitspläne“ zu konkreten (Beteiligungs-)Themen benennen.

2. Das Potsdamer Modell "WerkStadt für Beteiligung"

Das zweite Ergänzungs- oder vielleicht sogar Kontrastbeispiel zu Hannover stellt Potsdam dar, denn hier haben wir im Unterschied zu Hannover nicht nur die Begegnung von Verwaltung mit Bürger/innen über die Frage für richtig erachteter Stadtplanungsprozesse, sondern den Versuch einer Verschmelzung von beiden Dialogpartnern innerhalb der Kommune: Zum einen ist die „WerkStadt“ ein Konglomerat aus Verwaltung und einem externen Bildungsträger mit Personen, die sich zum Teil aus sozialen Bewegungen zusammensetzen (die herkömmlicherweise auch mal in Konflikt mit „Verwaltung“ lagen).

Das zweite Potsdamer Inklusionselement ist ein Beteiligungsrat mit neun ausgelosten Bürger/innen, zwei Stadtverordneten, zwei Verwaltungsmitarbeitenden und einem fachlichen Experten. Ab März 2014 wurde nicht nur dieses Verwaltungs-Bürger/innen-Modell erprobt sondern im Zuge der „strukturierten Bürgerbeteiligung“ mehr als 22 Projekte (z.B. zu Bauprojekten, Mieter-Initiativen, Flüchtlingsunterkünfte) realisiert.

Auch die Evaluation des dreijährigen (und mittlerweile bereits institutionell verstetigten) Modellprojektes im März 2016 erfolgte anders als in Hannover, nämlich extern durch ein wissenschaftliches Institut, das Deutsche Institut für Urbanistik mit folgendem Ergebnis.

Insbesondere den Schritt der neuen intern-externen Verwaltungsstruktur in Potsdam wurde gelobt von den Evaluator/innen, denn so seien innovative mutige neue Instanzen geschaffen worden. Die WerkStadt hätte so als „Puffer“ zwischen Verwaltung und Stadtgesellschaft wirken können und der Beteiligungsrat habe sich als „unverzichtbarer Ratgeber“ erwiesen. Die beachtliche Qualität und Quantität von Beteiligungsprojekten in so kurzer Zeit wirkt da fast schon als Nebenprodukt. Es wurden keinerlei Kritikpunkte, sondern lediglich einige Nachbesserungen benannt: So sollten die Rollen der beteiligten Einheiten bzw. Gremien noch besser geschärft werden. Auch solle man näher an einzelne Bürger/innen herantreten und weniger als bisher an Verbände. Beim Beteiligungsrat wünschte man sich eine Rotation der Ratsmitglieder, wenngleich auch diese erst nach einer gewissen Einarbeitungszeit eine gute Arbeitsroutine bekommen hätten. Auch hätte das Modellprojekt großen Anteil daran gehabt, die städtischen strategischen Grundsätze der Beteiligung zu konkretisieren.

Als (Qualifikations-)Anforderungen an – man kann wegen des neuen Organisationstypus kaum „die Verwaltung“ sagen – die Beteiligten wurde gefordert, dass lediglich strategisches Projektmanagement sowie Fortbildungen zum Thema „Selbst-Evaluation“ und Moderation nötig wären. Diese im Vergleich zu Hannover relativ weniger umfangreichen Forderungen geben möglicherweise Hinweise darauf, dass man im Zuge des Modellprojekts und seiner Verstetigung selbst aneinander gelernt hat, dass das Potsdamer Modell stärker strukturbildend angelegt war oder aber es liegt auch an der Evaluationsmethode der Hannoverschen Evaluation der subjektiven Gruppen-Evaluation, die möglicherweise eher zur Formulierung von Weiterbildungswünschen neigt als die Benennung von Anforderungen durch Expert/innen.

Dieser knappen Darstellung zweier Anforderungsformulierungen aus Beteiligungsprozessen in Stadtverwaltungen sollen nun einige Qualifikationsangebote gegenübergestellt werden.

Zertifikat und Workshop: Zwei Qualifikationsangebote im Vergleich

Eine sozialwissenschaftliche Analyse des Bildungsangebots zur Bürgerbeteiligung liegt noch nicht vor. In den Verwaltungs-Aus- und Fortbildungsinstituten auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene lassen sich bisher nur sehr wenige Kompaktangebote zur partizipativen Verwaltung finden und es dominieren verstreute Module wie „Bürgeranliegen anbeziehen“, „Kommunikation bei Bürgerkonflikten“ und „Kommunalrecht“.

Gebündelte Weiterbildungsangebote, die fokussiert sind auf das Thema Beteiligung lassen sich nur vereinzelt finden. Teilweise richten sich die Angebote exklusiv an Verwaltungsangestellte, andere an alle gesellschaftlichen Zielgruppen. Im Folgenden werden erneut zwei Kontrastbeispiele von verschiedenen Anbietern erörtert, um zu verdeutlichen auf welche der oben genannten Herausforderungen die Bildungsangebote eingehen und auf welche möglicherweise aus nicht. Zunächst wird ein Beispiel eher klassischer Individual-Wissensvermittlung aus Baden-Württemberg vorgestellt und dann ein eher projektorientiertes Gruppen-Lern-Modell aus Thüringen.

1. Basiszertifikat Bürgerbeteiligung aus Stuttgart

Das Seminarangebot „Basiszertifikat Bürgerbeteiligung“ der Führungsakademie Baden-Württemberg bietet folgende Module.

  1. Einführungsmodul Mitwirkung und Bürgerbeteiligung (1 Tag)
  2. Erfolgreiche Gestaltung von Bürgerbeteiligung (2 Tage)
  3. Erfolgreiche Steuerung von Beteiligungsprozessen (2 Tage)
  4. Kommunikation bei Beteiligungsprozessen (1 Tag)

Aufbauend auf diese insgesamt sechstägige Grundlage können Vertiefungsmodule belegt werden, wie z.B. „Beteiligung sog. ‚stiller‘ Gruppen“ oder „aktivierende Jugendbeteiligung“.

2. Workshop "Methoden der Bürgerbeteiligung intensiv" aus Erfurt

Mit ähnlichen Inhalten aber mit einer anderen Lernstrategie geht der „Workshop und die praxisbezogene Fortbildung“ vor. Das Angebot „Methoden der Bürgerbeteiligung intensiv“ der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen erstreckt sich mit den folgenden verpflichtenden Bausteinen mit der etwa gleichen Veranstaltungszeit jedoch über ein halbes Jahr mit Projektgruppen und Fernstudium-Elementen zwischen den Workshop-Treffen.

  1. Werkzeuge, Qualitätsbegriffe. Planung eigener Projekte (2 Tage)
  2. Praxisphase mit eigenem Projekt (Webinar)
  3. Umgang mit verschiedenen Zielgruppen (2 Tage)

In dieser fallorientierten Qualifikation wurden von 21 Personen vier verschiedene Beteiligungsprojekte realisiert.

3. Varianten partizipativer Lehrinhalte und Lernformen

Die Gegenüberstellung zeigt, dass sich die Lehrinhalte stark ähneln. Unterschiede sind allerdings zu finden bezüglich der Vermittlungs-, Aneignungs-, Lehr- und Erprobungsmethoden (Individual- oder Gruppenlernen), der zeitlichen Einteilung des Lehrumfangs sowie hinsichtlich des Detaillierungs- und Konkretisierungsgrads.

Über diese beiden exemplarischen Angebote hinaus lassen sich eine Vielzahl an Vernetzungsangeboten finden, die ebenfalls Bildungselemente beinhalten. So etwa koordiniert die „Stiftung Mitarbeit“ verschiedene Austausch- und Bildungstreffen, wie das der kommunalen „Partizipationsbeauftragten“, bei denen sie sich u.a. über Qualifikationen austauschen. Auch die „Allianz Vielfältige Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich derzeit in einem Arbeitskreis mit dem Thema und hat im November 2016 Produktsteckbriefe zu zentralen Qualifikationsaspekten herausgegeben. Es bleibt abzuwarten, welche Gestalt die Produkte und Prozesse interne und externe Fortbildungsangebote in den nächsten Jahren annehmen werden.

Qualifikations- und Organisationsangebote aktualisieren: Greifen Personal- und Organisationsentwicklung ineinander?

Es ist jetzt zwar nicht vollkommen überraschend, dass zwischen Realbetrieb (oder das was wir dazu in unseren Köpfen haben) und Lehrplan eine gewisse Kluft besteht. Doch wird abschließend deutlich, dass bei der Befähigung zur Bürger/innenbeteiligung die individuelle Weiterbildung nur die eine Seite der Medaille ausmacht. Die bereichs- und fachübergreifende Arbeit ist die andere Seite, die sich nicht per Qualifikation fördern lässt, sondern nur durch personal- und organisationsentwicklerische Arbeit im Vewaltungsbetrieb.

Vergleichen wir nun die Bildungsangebote mit den Evaluationsergebnissen der konkret erfolgten Bürger/innenbeteiligungsprozesse. Bei den Qualifikationsangeboten standen Grundlagen an Methoden, Konzeption und Steuerung sowie die Aufarbeitung der Praxiserfahrungen auf der Tagesordnung. Aus dem Praxisbetrieb wurden aber darüber hinaus noch andere, weil viel kollektivere Lernaspekte gefordert: Die fachübergreifende, dezentralisierte und zielgruppen-spezifische Projektarbeit sowie der langwierige Kulturwandlungsprozess hin zu einem rekursiveren Lernen der Einzelnen wie der gesamten Organisation. Diese Aspekte reichen aber über das Feld der Personalentwicklung (PE) bzw. -Qualifizierung weit hinaus. Dies erfordert eine andere Reichweite in die Strukturveränderung von Kommunen: eine Organisationsentwicklung (OE) die bereit ist, sich auf einen tiefgreifenden und langanhaltenden Kulturwandel einzulassen.

Wenn wir diese Erkenntnis des gegenseitigen Angewiesenseins von Personal- und Organisationsentwicklung wieder in den Gesamtkontext öffentlicher Verwaltung zurückstellen, dann sind die vielen anderen Teile, die mitberücksichtigt werden müssen: Teamentwicklung (z.B. über Teams oder für temporäre Teams), Führungskräfteentwicklung sowie der Personalgewinnung. Bei der Organisationsentwicklung wären die Prozessgestaltung, die Reorganisation (z.B. von Kommunikations- und Personalstrukturen), die Qualitäts- und Strategieentwicklung zu nennen.

Organisation und Personal müssen bei Beteiligungsverfahren ineinandergreifen

Qualifikationsangebote würden ins Leere greifen, wenn die Kommunen nicht auch in ihren organisatorischen Strukturen den erforderlichen zuständigkeitsübergreifenden Kooperationen mit Bürger/innen angepasst werden. „Was hilft mir Euer Bildungsangebot zu Bürger/innenbeteiligung, wenn ich weiß, dass mein Chef mir nicht erlaubt mit dem Kollegen aus dem anderen Sachgebiet ein Projekt gemeinsam zu machen?“, so illustrierte es neulich ein Stadtbezirksmanager in einer Fortbildung.

Wenn wie derzeit in vielen Kommunen Mitsprachemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auf Dauer gestellt werden sollen, dann sollte sich das nicht nur in Fortbildungen niederschlagen, sondern auch in den Organisationsstrukturen. Je nach Größe und Art der Kommune wird sich die Zuständigkeit und Qualität von Partizipation voraussichtlich unterschiedlich ausprägen und auch wie flächendeckend und tiefgreifend sie praktiziert wird. Eine erste Typologie, wie die Verantwortlichkeiten zur Bürger/innenbeteiligung in den Verwaltungen verankert werden und Kompetenzen aufgebaut werden, zeichnet sich erst ab.

Die Wahl der Organisationsform sowie die Verankerung der Zuständigkeit der Beteiligung bestimmt stark mit, wie prozessorientiert und wie nachhaltig Öffentlichkeit und Beschäftigte involviert werden. Beteiligung kann

  • querschnittsmäßig bei einer Stabs- oder Koordinierungsstelle konzentriert sein,
  • Teil der jeweiligen Fachaufgabe angesehen werden,
  • in einem neu zu schaffenden Querschnittsbereich gebündelt und über Kopfstellen in den Fachbereichen verankert werden,
  • als eine Summe von Einzelprojekten mit jeweils anlassbezogenen Projektgruppen umgesetzt werden oder
  • aus einer Kombination der genannten Ansätze bestehen.

Kommunale Verwaltung bürger/innennäher zu machen, bedeutet also vor allem, die gängigen Routinen (z.B. der bisher üblichen Führungskräfteentwicklungen) zu überprüfen und auch bestehende Qualifikationsangebote dem anzupassen: Führung muss noch mehr auf Selbstorganisation, Eigenverantwortung und Variantenreichtum bei Problemlösestrategien der Verwaltungsbeschäftigten setzen. Das allein ist schon ein großer Schritt. Doch weiterhin müssen die Vorgesetzten ihre Führungs- und Ergebnisverantwortung tragen und den Kopf hinhalten, wenn Beteiligungsprozesse – aus Sicht des klassischen Verwaltungshandelns – aus dem Ruder laufen. Dies ist insbesondere für Führungskräfte ein Drahtseilakt, den sowohl Personal- als auch Organisationsentwickler/innen nicht unterschätzen sollten und als Ängste oder Widerstand abtun. Deshalb sollte auch der Umgang mit den widersprüchlichen Arbeitsanforderungen (Moldaschl 2010) der Beteiligung mit den Führungskräften und Mitarbeitenden thematisiert werden.

Fraglich bleibt, womit man zuerst anfangen sollte: mit einer guten Weiterbildung oder mit nötigen Gleislegungen in den kommunalen Organisations- und Personalstrukturen auf dem Weg zur partizipativen Verwaltung? Am besten gleichzeitig.

Wir haben bereits gesehen, dass die Qualifikationsanforderungen nur einen ganz kleinen Teil von Strukturanpassungen in der Verwaltung ausmachen, gewissermaßen wie in der obigen Illustration nur ein Finger einer Hand. Der Vergleich von Realbetrieb und Lehrplan bei der Bürger/innenbeteiligung lieferte vor allem die Überlegung, dass der Formwandel zu mehr Teilhabe offenbar nur gelingen kann, wenn wir vermeiden, was mit den Sozialwissenschaften in der öffentlichen Verwaltung leider häufig passiert: dass Sozialwissenschaften verniedlicht werden mit dem Verweis, dass sie im öffentlichen Dienst lediglich unter Soft-Skill-Kursen wie zur Kommunikationskompetenz oder Methodenwissen rangieren.

Vielmehr bedarf es auch des Reflexionswissens über den Formwandel, den die öffentliche derzeit Verwaltung durchläuft, wenn sie das Gemeinwesen beteiligungsorientierter steuern möchte. Wer die sich durch Bürger/innenbeteiligung erneuernde Verwaltung unterstützen möchte, braucht sozialwissenschaftliches Wissen auf der operativen wie auf der strategischen Ebene.

Der Text ist in leicht veränderter Form erschienen in dem Tagungsband Soziologie für den öffentlichen Dienst.

 

Literatur

Brunsson, N. (1989), The Organization of Hypocrisy: Talk, Decisions, and Actions in Organizations. John Wiley & Sons Inc.

Dröge, K. & Magnin, Ch. (2010): Öffentliches Recht: individualisierte Partizipationsverfahren als Chance für bessere Integration? In: ZfRSoz (31), H1, S.102-121.

Luhmann, N. (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt/M.; Suhrkamp.

Moldaschl, M. (2010). Widersprüchliche Arbeitsanforderungen. Ein nichtlinearer Ansatz zur Analyse von Belastung und Bewältigung in der Arbeit, in: Faller, G.: (Hrsg.): Lehrbuch der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Bern, Zürich S. 82-94.

Roth, R. 1998: Lokale Demokratie „von unten“. Bürgerinitiativen, städtischer Protest, Bürgerbewegungen und neue soziale Bewegungen in der Kommunalpolitik.

Roth, R. (Hg.) (1999): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 2-22.

Schuppert, G. (2005): Der Gewährleistungsstaat – ein Leitbild auf dem Prüfstand. Baden Baden: Nomos.

Schwarz, C. (2016), Beteiligung gewinnt, in: Süddeutsche Zeitung, 15.9.2016, Sonderbeilage, S.3.

Walter, F. (2013): Die neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen? Rowohlt Verlag, Berlin.